Unsere Modelleisenbahn

Wie bei vielen unserer etwa Gleichaltrigen war die Modelleisenbahn der Schlüssel für den Einstieg in die Eisenbahn-Fotografie. Modelleisenbahnen waren für Jungs in den 1950er und speziell 1960er und -70er Jahren das Spielzeug schlechthin. Was heute der Computer oder das iPhone sind, das war damals die Modelleisenbahn-Anlage. Viele der damals florierenden Firmen sind verschwunden und die Kunden der verbliebenen sehen so ähnlich aus wie die vier Brüder auf dem untersten Bild der "Über uns"-Seite aus dem Jahr 2012. Apropos: Schlüssel .....

.... es muss Weihnachten 1965 oder 1966 gewesen sein. Unser Großvater, ein großer Sponsor unserer Modelleisenbahn-Begeisterung war dieses Weihnachtsfest besonders freigiebig. Wir hatten uns die Märklin-Baureihe 81 gewünscht, von Opa das Geld erhalten, sie vor den Weihnachtstagen beim örtlichen Händler gekauft, sie der Mutter abgeliefert - die sie im Gästezimmer bei den Geschenken einsperrte - und wie immer gespannt gewartet. Zu unserer Überraschung teilte uns der Großvater mit (seine Rente betrug 250 D-Mark im Monat), dass wir uns dieses Weihnachtsfest eine zweite Lokomotive wünschen dürften. Eine richtig teure sogar: wenn die Erinnerung stimmt, kostete sie 54 D-Mark. Wir waren aus dem Häuschen. Unsere Wahl fiel auf das deutsche Krokodil: die E 94, die wir so oft beim Fußballspielen in der Nähe der Bahngleise der Strecke München - Stuttgart gesehen hatten. Also dasselbe Zeremoniell nochmals: Mit Opas Geld zum Händler, auf dem Heimweg bewundernd die Verpackung immer wieder geöffnet, gestaunt - aber die Lok zu Hause artig der Mutter abgeliefert für den Verschluss im Gästezimmer. Schließlich kam das Christkind erst am 24. Dezember! Das Warten dauerte unendlich lange und die Vorstellung von den beiden Lokomotiven wurde immer wunderbarer, die Spannung und die Neugier unerträglich. Wenn man doch wenigstens eine Proberunde auf dem Gleisoval hätte fahren dürfen. Die Antwort der Mutter wäre klar gewesen, also erübrigte sich eine solche Frage. Mutter musste kurz vor den Weihnachtstagen für einige Stunden in die Stadt, um letzte Besorgungen zu erledigen. Opa befand sich vermutlich vor dem Fenster sitzend im Erdgeschoss und war ohnehin nicht mehr sehr beweglich. Wer auf Idee kam, war klar: der Älteste, aber mit Zustimmung des Nächstgeborenen, versteht sich. Von einem Dietrich hatten wir schon gehört, besessen hatten wir aber noch nie einen. Also wurde einer fabriziert. Für das einfache Schloss genügte zwar ein kräftigerer Draht, aber es brauchte viel Feinarbeit und einige Fehlversuche, bis es klappte. Wir waren schließlich drinnen, im "heiligen" Raum. Das Herz raste reichlich vor Erwartung und Aufregung. Zu einer Probefahrt reichte es zeitlich nicht, aber zum Öffnen der Packungen und zum Betrachten dieser beiden wunderbaren Lokomotiven schon. Das Verschließen der Türe war ebenso aufwändig, wie es das Öffnen gewesen war. Im Unterschied dazu allerdings war es erfolglos. Wir bekamen diese besch.... Tür nicht wieder zu. Alle Panik half nichts, wir mussten die Versuche erhitzt und begleitet von gegenseitigen Vorwürfen abbrechen. Ein Geständnis? Wir waren nahe daran, die Schandtat zu beichten, einigten uns aber auf die Strategie, von nichts etwas zu wissen. Der Weihnachtsfriede sollte schließlich nicht schon im Vorfeld Kratzer bekommen. Ein paar Tage später kam Mutter mit der verwunderten Feststellung, die Tür zum Gästezimmer sei offen und mit der Frage, wie das sein könne. Unsere Ahnungslosigkeit war offensichtlich nur mäßig gut gespielt, denn sie fand die Geschichte merkwürdig. Aber einen "Einbruch" mit einem Hilfswerkzeug traute sie uns dann doch nicht zu. Eher glaubte sie, wir hätten ihr Schlüssel-Versteck entdeckt. Aber wir beteuerten wahrheitsgemäß, nichts vom Versteck zu wissen. Am Ende ließ sie es damit bewenden, dass sie vermutlich vergessen hatte, das Zimmer wieder abzusperren. Es wurde ein schönes Weihnachtsfest und Mutter hat die Dietrich-Geschichte erst einige Jahre später erfahren, als alle darüber lachen konnten.

Unsere Eltern standen unserer Modellbahn- und später unserer Lokomotiv-Leidenschaft zwar meist positiv und wohlwollend gegenüber, Probleme gab es allerdings immer, wenn die schulischen Leistungen in den Keller rutschten. Speziell, wenn die Latein-Noten sich dem mangelhaften Bereich zu nähern drohten, hatte Vater die Schuldfrage, vermutlich nicht zu Unrecht, schnell geklärt. Er drohte uns dann immer, der Modellbahnbetrieb werde gänzlich eingestellt, später fand er die Ursache in den zeitaufwändigen Foto-Touren, die die Ursache des schulischen Desasters seien. Aber: non scholae discimus, sed vitae (zu deutsch: nicht für die Schule lernen wir, sondern für's Leben) - von den Latein-Kenntnissen ist wenig übrig geblieben (außer eben solch "kluge" Sprüche) - die Foto-Negative gibt's immer noch, man kann sie sogar noch in die digitale Welt retten. Vater würde staunen, wenn er sich im web sehen könnte! Wenn wir zu stark in Bedrängnis kamen, half stets ein wenig die Prophezeiung, wir würden mit den Aufnahmen irgendwann einen Bildband publizieren. Die Aufnahmen hätten in Bälde historischen Wert. Vater winkte meist ab und kommentierte in der Regel: "Ihr mit eurem Buch!"